In einer zunehmend komplexen sicherheitspolitischen Landschaft reichen klassische Bedrohungsanalysen längst nicht mehr aus. Vor allem staatliche Akteure wie Russland setzen auf neue Formen der hybriden Einflussnahme – etwa durch den gezielten Einsatz von sogenannten Wegwerfagenten oder Soft Agents. Diese neue operative Methode stellt Unternehmen, kritische Infrastrukturen und Sicherheitsbehörden gleichermaßen vor große Herausforderungen (Rid, 2020; Galeotti, 2019).

Was sind Soft Agents?
Soft Agents – häufig auch „Wegwerfagenten“ genannt – sind Personen, die für eine spezifische Mission kurzfristig rekrutiert und anschließend fallengelassen werden. Im Gegensatz zu klassischen Agenten sind sie selten ideologisch motiviert oder umfassend geschult. Stattdessen agieren sie meist aus pragmatischen Motiven wie finanziellen Anreizen oder sozialem Druck (Schoen & Lamb, 2012; Heickerö, 2017).
Sie werden bevorzugt eingesetzt für:
Informationsoperationen (z. B. Verbreitung gezielter Desinformation),
Sabotageakte (z. B. gegen Energie- oder Kommunikationsinfrastruktur),
Aufklärungstätigkeiten (z. B. verdeckte Beobachtung sicherheitsrelevanter Einrichtungen).
Durch ihre kurze Einsatzdauer und begrenzte Verbindung zu staatlichen Stellen ermöglichen Soft Agents eine wirksame plausible Leugnung: Wird ein Akteur entdeckt, bleibt der tatsächliche Auftraggeber oft im Dunkeln (Rid, 2020; UK Parliament Intelligence and Security Committee, 2020).
Besonders russische Nachrichtendienste wie der GRU oder der SWR nutzen dieses Konzept systematisch, um Risiken zu streuen und Reaktionen der Zielstaaten zu verzögern oder zu verhindern (Galeotti, 2019; Hybrid CoE, 2022).
Warum sind Soft Agents so schwer zu erkennen?
Soft Agents fallen nicht in klassische Raster der Spionageabwehr. Sie zeigen keine langfristigen konspirativen Aktivitäten, nutzen oft offene Kanäle und führen scheinbar harmlose Handlungen aus. Ihr Profil ist beliebig austauschbar, ihr Auftreten unspektakulär (Pynnöniemi & Rácz, 2016).
Die größte Gefahr besteht darin, dass sie gezielt in sensible Bereiche eindringen – ohne dass klassische Frühwarnsysteme oder Sicherheitsüberprüfungen anschlagen.
Präemptive Umfeldanalyse: Ein neuer Ansatz zur Gefahrenabwehr
Um dieser schwer fassbaren Bedrohung zu begegnen, entwickelt sich ein innovativer Sicherheitsansatz: die präemptive Umfeldanalyse. Statt auf konkrete Tatverdachte zu warten, analysieren Sicherheitsbehörden und Unternehmen bereits im Vorfeld die Umfelder potenzieller Bedrohungen auf subtile Anzeichen für hybride Operationen (Borchert, 2018; Hybrid CoE, 2022).
Die präemptive Umfeldanalyse stützt sich auf vier Kernelemente:
Baseline-Monitoring:
Erfassung eines „Normalzustands“ etwa in Kommunikationsmustern, Personenbewegungen oder Materialbeschaffungen (Betz & Stevens, 2011).Anomalieerkennung:
Identifikation kleiner, untypischer Veränderungen, die auf vorbereitende Operationen hinweisen könnten (Bailes, Sendstad, & Sundelius, 2020).Netzwerkanalyse:
Untersuchung sozialer und professioneller Verbindungen auf verdeckte operative Muster (Heickerö, 2017).Prädiktive Mustererkennung:
Nutzung künstlicher Intelligenz, um potenzielle Bedrohungsmuster frühzeitig zu erkennen (Mallery, 2021; European Union Agency for Fundamental Rights, 2021).
Der Vorteil:
Diese Methodik erlaubt ein deutlich früheres Eingreifen – bevor Soft Agents operative Maßnahmen ergreifen können. Gerade im Bereich des Wirtschaftsschutzes kann dies entscheidend sein, um etwa Industriesabotage, Cyberangriffe oder Desinformationskampagnen rechtzeitig zu verhindern (European External Action Service, 2022).
Was bedeutet das für Unternehmen?
Unternehmen, insbesondere Betreiber kritischer Infrastrukturen oder forschungsintensiver Branchen, müssen ihre Sicherheitsstrategien anpassen. Klassische Zutrittskontrollen oder Firewalls allein reichen nicht mehr aus. Vielmehr braucht es ein verstärktes Augenmerk auf:
Ungewöhnliche Personalbewegungen,
Ungewöhnliche Kommunikations- oder Rechercheaktivitäten,
Veränderte Interessen von Geschäftspartnern oder Kunden,
Anomalien bei Lieferketten und Beschaffungsprozessen.
Durch den Aufbau eigener Kapazitäten zur präemptiven Umfeldanalyse – oder die Kooperation mit spezialisierten Sicherheitsdiensten – können Unternehmen ihre Resilienz gegenüber hybriden Bedrohungen erheblich steigern.
Fazit
Soft Agents und Wegwerfagenten sind Ausdruck einer neuen, schwer greifbaren Form hybrider Kriegsführung. Ihre Bekämpfung erfordert innovative Ansätze wie die präemptive Umfeldanalyse, die klassische Spionageabwehr sinnvoll ergänzt. Für Wirtschaft und Gesellschaft bedeutet dies: Frühzeitige Sensibilisierung, erhöhte Wachsamkeit und die Bereitschaft, bestehende Schutzmechanismen grundlegend weiterzuentwickeln.
Bailes, A. J. K., Sendstad, C., & Sundelius, B. (2020). Nordic Ways of Security Governance. Oxford University Press.
Betz, D. J., & Stevens, T. (2011). Cyberspace and the State: Toward a Strategy for Cyberpower. Routledge.
Borchert, H. (2018). Frühwarnsysteme gegen hybride Bedrohungen. Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik, 11(1), 29–47. https://doi.org/10.1007/s12399-018-0643-7
European External Action Service. (2022). The threat from hybrid and cyber threats: An evolving challenge for the EU. https://eeas.europa.eu
European Union Agency for Fundamental Rights. (2021). Artificial Intelligence, Big Data and Fundamental Rights. https://fra.europa.eu/en/publication/2021/artificial-intelligence-big-data-and-fundamental-rights
Galeotti, M. (2019). We Need to Talk About Putin: How the West Gets Him Wrong. Ebury Press.
Heickerö, R. (2017). Emerging Hybrid Threats: Implications for Global Governance. FOI Swedish Defence Research Agency.
Hybrid CoE. (2022). Countering Hybrid Threats: Practitioner’s Handbook. European Centre of Excellence for Countering Hybrid Threats. https://www.hybridcoe.fi
Mallery, J. C. (2021). Artificial Intelligence for Intelligence Analysis: Opportunities and Challenges. Georgetown University Press.
Rid, T. (2020). Active Measures: The Secret History of Disinformation and Political Warfare. Farrar, Straus and Giroux.
Schoen, F., & Lamb, C. J. (2012). Deception, Disinformation, and Strategic Communications: How One Interagency Group Made a Major Difference. Institute for National Strategic Studies.
UK Parliament Intelligence and Security Committee. (2020). Russia Report. https://isc.independent.gov.uk
Autor: S. Leitgeb, B.A., CSO der TRIAS Solutions GmbH, weist über 25 Jahre Berufserfahrung in verschiedenen Bereichen der Sicherheitswirtschaft auf und stellt seine umfangreiche Erfahrung und sein Knowhow Bedarfsträgern aus der Privatwirtschaft zur Verfügung. Die Themenbereiche Desinformation und hybride Gefahren wurde im Rahmen seines Studiums intensiv wissenschaftlich beforscht.